Der erste Blick fällt beim Betreten der heiligen Defender-Hallen auf große, schwarze, stählerne Ungetüme: die vom britischen Wetter noch feuchten Fahrgestelle. Ein nett grüßender Mitarbeiter versucht sie mit Druckluft und einem Lappen ein wenig von ihren Tropfen zu befreien. Wobei im Gesicht des Putzteufels der Satz "Der wird ja eh wieder nass... und das ist noch zurückhaltend formuliert" abzulesen ist. Recht hat er natürlich. Und was er nicht trocken bekommt, wird in den kommenden 72 Stunden in diesen warmen Werkshallen sowieso von selbst trocknen. Was folgt ist die erste echte Schraubstation im Leben eines Defenders. Die auf zwei Stahl-Böcken positionierten Achsen inklusive Differentialen, Bremsanlagen und Dämpfern warten bereits. Dabei ist eines sehr schön zu sehen. Denn der hintere, gelbe Bock kann an drei unterschiedlichen Befestigungspunkten im Boden verankert werden. Warum? Ganz einfach: Hier werden drei verschiedene Radstände, sprich die drei bekannten Defenderversionen 90, 110 und 130 zusammengesetzt. Dass es nahezu unzählige, aber mindestens 53 verschiedene Varianten des Ur-Land Rovers gibt, zeigt ein gewaltiges Poster an der Werkshallenwand.
Bohren nach Augenmaß
Bis zur Hochzeit, bei der der 2,2 Liter große und 122 PS starke Vierzylinder-Motorblock mit dem Fahrgestell vereint wird, sind noch ein paar Hammerschläge und lautes Krachen zu vernehmen. Hier wird noch richtig zugepackt und draufgekloppt. Frei nach dem Motto: "Was nicht passt, wird passend gemacht." Direkt nach der Hochzeit bekommt der noch ziemlich nackte Defender sein Cockpit verpasst, das auf einer parallel zum Fahrwerk verlaufenden Fertigungslinie zusammengebaut wird. Dann geht es ans Stahlkleid. Doch plötzlich dröhnt eine Sirene durch die Hallen... es ist Tea-Time! Nach wenigen Minuten stehender Bänder geht es weiter.
Das Besondere an dem stählernen Umhang eines Defenders ist, dass es an einem skelettartigen Gerüst zusammengesetzt und später mit dem Fahrwerk verbaut wird. Dabei fällt auf, dass die rund 450 Defender-Arbeiter nur selten zu Robotern oder ähnlichen Apparaturen zurückgreifen müssen. Der Bohrer wird hier noch nach Augenmaß angesetzt, so dass das gern genutzte Marketingdeutsch "Hier ist kein Exemplar wie das andere" beim Defender tatsächlich zutrifft. Natürlich ist nach fast 70 Jahren das über Generationen weitervererbte Augenmaß - Mitglieder einer Familie arbeiten bereits in der dritten Generation in diesem Werk - fast so gut wie eine vom Computer erstellte Maske, doch nur fast. Leichte Kratzspuren oder ähnliches werden hier ohne ein Wimpernzucken zur Kenntnis genommen. Denn schließlich wird ja noch lackiert.
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- Geschrieben von marcel-sommer
- Veröffentlicht: 18. Dezember 2015