Spannend zu beobachten ist allerdings, dass dieses Elektromobilitätsgesetz zwar am 12. Juni 2015, also vor über einem Jahr, in Kraft getreten und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist, sich aber nahezu nichts geändert hat. Was das für Auswirkungen in der Praxis hat, macht den Kauf von Elektroautos für Autofahrer, die keine Möglichkeit haben daheim aufzuladen, völlig zunichte. Denn so viele Applikationen es zum Auffinden von Ladesäulen inklusive Verfügbarkeitsanzeige auch gibt. Es gibt noch keine einzige Smartphone-, PC- oder auch Nissan Connect-App, die einem zu irgendeinem Prozent versichern kann, dass der dazugehörige Parkplatz auch frei ist. Nur um ein Beispiel aus dem Praxistest zu nennen: Nach zehnmaligen Vorbeifahrten zu jeder nur erdenklichen Tages- und Wochenzeit an der RWE-Ladesäule in der Humanstraße 3 in Essen waren dort immer die beiden dazugehörigen Parkplätze besetzt. Was aber auch völlig klar ist. Denn diese beiden Parkplätze gehören zu den wenigen Chancen, möglichst nahe der Fußgängerzone zu parken. Und wenn es nicht verboten ist, wer soll es den Verbrenner-Fahrern verübeln?
Schafft es der Fahrer des Nissan e-NV200 Evalia dann doch einmal solch eine Ladesäule zu nutzen, gibt es drei mögliche Bezahlvorgänge. Erstens: Mit dem die Ladesäule betreibenden Unternehmen im Vorfeld einen Vertrag eingehen. Wird sich die Ladekarte der Stadtwerke Düsseldorf kostenfrei besorgt, darf sogar gratis Strom getankt werden. Und das auch im Parkhaus P7 des Düsseldorfer Flughafens. Das Problem ist hier: Die Chance einen der vier für Stromer reservierten Parkplatz zu bekommen ist nicht garantiert. Und wer dort einmal parkt und zwei Wochen im Urlaub ist, bleibt dort auch stehen. Hier muss eine weitere Lösung gefunden werden. Wird mit RWE ein 4,95 Euro im Monat kostender Vertrag eingegangen, bezahlen die Kunden 30 Cent pro Kilowattstunde an den jeweiligen Ladesäulen. Der Tankvorgang wird per Smartphone-App oder Hotline-Anruf initiiert und auch bezahlt. Die zweite Möglichkeit ist, sich von einem Fremdanbieter wie TheNewMotion eine kostenfreie Karte zu bestellen und auf die monatliche Grundgebühr zu verzichten, dafür aber einen fast doppelt so hohen Kilowattstundenpreis zu bezahlen. Gleichzeitig kann mit dieser Karte in ganz Europa bezahlt werden. Die dritte Möglichkeit ist die zugleich auch irrsinnigste. Wer über keinerlei Karte oder Vertrag verfügt kann per PayPal oder Kreditkarte zahlen. Das Zauberwort lautet hier Zeit- beziehungsweise Stundentarif. Und der hat es in sich. Mindestens 4,95 Euro für elf Kilowattstunden werden hier pro Stunde fällig. Wird fast leer an solch einer Ladesäule per Kreditkarte getankt, werden nach den benötigten zwei Stunden 9,90 Euro abgezogen - voll ist der Nissan dann natürlich noch nicht. Im Test hat er nach exakt 60 Minuten 40 Prozent hinzugewonnen.
Zu beachten ist schon auf dem Weg zur Ladestation der Weg selbst. Was sich wirr liest, ist durchaus ernst gemeint. Werden nur noch 15 Reichweiten-Kilometer im futuristisch anmutenden Display des Nissan e-NV200 Evalia angezeigt und die Ladesäule liegt nur ein paar Kilometer entfernt, mag der Stromer-Unerfahrene Fahrer denken "Kein Problem". Zugegeben, das ist es wirklich nicht, wird in den flachen Niederlanden oder noch besser ausschließlich bergab gefahren. Dann ist es sogar so, dass sich durch die Rekuperation von Bremsenergie die Reichweite vergrößert, noch bevor das Ladekabel eingesteckt ist. Liegt zwischen Ausgangspunkt und Säule jedoch eine leichte Steigung, könnte diese bereits den Plan durchkreuzen, da jeder noch so kleine Anstieg die Reichweite brutal in den Keller treibt. Ein Anstieg ist schlicht und ergreifend der hässlichste Feind im Leben eines Stromers. Da hilft dann auch kein Eco-Fahrprogramm oder eine per Automatikwahlhebel auferlegte verstärkte Rekuperation. Geht der Strom dann tatsächlich einmal noch vor Erreichen der Ladesäule zur Neige, stellt sich die große Frage "Was nun?" Und genau an der Stelle scheiden sich die Geister. Nissan vertritt ganz klar den längerfristig gesehen materialschonenderen Standpunkt und rät ausschließlich zum Abschleppen per Anhänger. Andernfalls könnte der Motor beschädigt werden. Dem gegenüber gibt es nicht nur einen Videobeweis, der zeigt, dass durch das Abschleppen im D-Modus und gleichzeitigem leichten Bremsen die Batterie sogar wieder aufgeladen werden kann. Die dadurch gewonnene Reichweite entspricht zwar nur zu zwei Dritteln der Wahrheit, doch scheint auch dies zu funktionieren. Wer länger was von seinem praktischen Nissan e-NV200 Evalia haben möchte, der lädt ihn einfach rechtzeitig.
Fotos: Marcel Sommer
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- Geschrieben von marcel-sommer
- Veröffentlicht: 10. August 2016