Der Erstkontakt mit der rollenden Ikone mit dem Kürzel SV auf der Karosserie ist mühsam. Kleine Sitzschalen und ein flaches Dach zwingen zu einer ersten Turnübung beim Einsteigen. Das Lenkrad hat die Größe einer Medium-Pizza, ist recht weit entfernt, liegt aber gut in der Hand. "Beim Schalten vom ersten in den zweiten Gang, bitte zweimal die Kupplung treten", empfiehlt der freundliche Lamborghini-Mechaniker. Der Hinweis auf jahrelange Erfahrungen mit einem Alfa Romeo Getriebe, das genauso behandelt werden wollte, beruhigt den Mann etwas. Ein kurzer Dreh am Zündschlüssel und der Vierliter-Biest erwacht knurrend zum Leben. Die Nüstern der potenten Antriebs-Bestie befinden sich in den Türschwellern. Laut röchelnd inhaliert das Monster die Luft, um sie dann in die zwölf Brennräume zu pressen. Mit jedem Zentimeter, mit dem sich der Zeiger des Drehzahlmessers dem roten Bereich nähert, schwillt das Inferno im Rücken des Piloten an. Aus einem mechanisch unterlegten Grummeln, wird ein Grollen und letztendlich ein metallisches Sägen, Kreischen und Schreien, dass die Haarbalgmuskeln am Unterarm zur Kontraktion anregt. Laut japsend und schnorchelnd japst das Herz des Bullen nach Sauerstoff, nur um im selben Atemzug vom Fahrer noch mehr Leine zu verlangen.
Zwei obenliegende Nockenwellen
Die Lenkung ist direkt und der Miura legt für einen 50jährigen Sportler eine erstaunlich gute Sohle auf das Parkett. Das Mittelmotorkonzept hilft beim Wedeln, kann aber jederzeit die Bestie freilassen, wenn man es übertreibt. So lange der Benzintank, der sich in der Front des Boliden befindet, gut gefüllt ist, machen die Fronträder auch klaglos jeden Spaß mit. Mit abnehmenden Treibstoffstand steigt das Eigenleben der Vorderachse. Doch diese Leichtigkeit des dynamischen Seins, lässt sich kontrollieren - einfach beim Kurvenausgang möglichst präzise zielen und sachte auf das Gas gehen. Übertreiben tut man es ohnehin nicht, schließlich bewegt man eine echte Preziose, eine Ikone. Spaß ist dennoch garantiert. Die offene Fünfgang-Schaltkulisse verhöhnt mit jedem metallischen Klacken all die Automatik- und Doppelkupplungsgetriebe-Jünger, die nach Wippen hinter dem Lenkrad tasten. Einfach herrlich archaisch.
Das akustische Tsunami im Rücken des Piloten ist nicht nur ein effektheischendes Schauspiel. Mit der Urgewalt eines losgelassenen Bullen stürmt der 4,39 Meter lange Italiener und Rücksicht auf Verluste los. Schon im dritten Gang sprintet der Miura in der Mitte des Drehzahlbandes 170 km/h schnell. Der quer eingebaute Aluminium-Motor bietet für damalige Zeiten fortschrittlichste Renn-Technik: Zwei obenliegende Nockenwellen pro Zylinderbank waren bei Straßenwagen eine Rarität. Neben Ferrari existierte noch eine weitere Messlatte. "Wir waren alle vom Ford GT40 fasziniert" erinnert sich Chefingenieur Gian Paolo Dallara. Der Geist des reinrassigen Motorsports zieht sich durch jede Faser der traumhaft schönen Karosserie. Mit jedem Meter Asphalt, den der italienische Stier zurücklegt, wächst das Vertrauen in sein Können. Doch dann heißt es Abschied nehmen. Beim Rausschälen aus dem Cockpit tritt Eduardo Miura an das Auto heran. "Wissen Sie, Ferrucio Lamborghini kam erst zu uns, als das Auto schon gebaut wurde. Er hatte zwei Miuras dabei, die an Madrilenen verkauft waren, ließ kurz das Foto machen, auf dem er meinen Großvater umarmt und fuhr weiter." Damit ist eine weitere Legende als nicht ganz der Wahrheit entsprechend entlarvt. Der Nimbus des Miuara bleibt dabei unberührt.
Fotos: press-inform / Ingo Barenschee
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- Geschrieben von wolfgang-gomoll
- Veröffentlicht: 05. Dezember 2016