Das wirre Muster auf dem Prototyp ist nicht durch Zufall entstanden. Vor 13 Jahren waren die ersten Folien aus einer Diplomarbeit entstanden und wurden seither immer wieder optimiert. Dabei hat die Tarnfolie insbesondere den Grund, dass Zuschauer im öffentlichen Straßenverkehr oder Kameraobjektive möglichst wenige Fahrzeugdetails erspähen können. Wie das Fahrzeug getarnt wird oder ob spezielle Elemente abgenommen werden können, ist dabei ebenso wenig beliebig was Muster der Folien selbst. Wie für fast alles im Hause BMW gibt es auch hier regelmäßige Treffen im so genannten Tarnkreis. Die Runde der Experten setzt sich aus acht bis zehn Vertretern aus Arbeitsbereichen wie Entwicklung, Kommunikation und Design zusammen. Hier wird festgelegt, zu welchem Zeitpunkt der Prototypenerprobung die Erlkönige wie genau unkenntlich gemacht werden sollen. Ziel ist es dabei nicht nur, das Auto so unkenntlich wie möglich machen. Mindestens ebenso wichtig ist, dass die Erprobung durch die Tarnmaßnahmen so wenig als möglich verfälscht wird. Schließlich geht es bei jedem Kilometer auf Testfahrten um Aerodynamik, Kühlung, Geräuschentwicklung oder Korrosion.
Die Folien selbst auf die Fahrzeuge aufzubringen ist eine Wissenschaft für sich. "Zwei Personen brauchen etwa einen Tag, um zu diesem frühen Zeitpunkt der Testfahrten die Maximaltarnung aufzubringen", erklärt David Ferrufino, "hierzu werden nicht nur Folien aufgebracht, sondern auch Schalen aufgeschraubt. Wenn es schneller gehen soll, arbeiten gleichzeitig vier oder fünf Personen an einem Auto." Gerade wird die Schulter des Prototypens mit drei Millimeter dicken ABS-Kunststoffteilen verziert; pro Auto sind es je nach Modell rund 20 Elemente. Details wie Türgriffe, Außenspiegel und insbesondere die Leuchten werden dabei aufwendig abklebt. An der Wand vor dem Prototyp steht ein großes Regalsystem, in dem sich die einzelnen Techniker bei der Verplankung bedienen. "Die Kunststoffschalen machen den Wagen nur rund zehn Kilogramm schwerer und beeinträchtigen die Fahrtests nur minimal", erklärt BMW-Ingenieur Thomas Nock, "das ist den Entwicklern besonders wichtig." Erst jetzt fällt auf, dass es sich bei den beiden Auspuffendrohren in der Heckschürze des Fahrzeugs um Aufkleber handelt. Kein Wunder, denn das vermeintliche BMW 4er Gran Coupé hat sich durch den auf der Tür und am Heck aufgebrachten Aufkleber "Electric Vehicle" nicht erst bei näherem Hinsehen als das Elektromodell i4 entpuppt. Und da der Verbrenner unter der Motorhaube fehlt, sind die Endrohre eher Technik-Schabernack denn ernsthafte Tarnung.
Längst ist es mit dem Tarnen von Türen, Hauben und Klappen nicht getan. "Natürlich muss auch der Innenraum getarnt werden", ergänzt Thomas Nock, "der Innenraum wird komplett mit Matten abgedeckt, damit auch hier nichts zu erkennen ist." Auf den Erprobungsfahrten werden die schwarzen Matten größtenteils abgenommen, damit die Testingenieure auf ihren Entwicklungsfahrten Anzeigen und Bedienelemente bedienen können. Steht der Wagen irgendwo außerhalb der Werkstore, wird der gesamte Innenraum mit Matten unkenntlich gemacht. Jetzt geht es für den Prototypen des BMW i4 erst einmal auf die Straße zum Testkilometer schrubben - rein elektrisch und bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Fotos: Fabian Kirchbauer
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- Veröffentlicht: 07. Mai 2020