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Nicht kleckern, sondern klotzen

Cariad Messestand (Foto: VW / Meiners)

Der Volkswagenkonzern setzt alles auf die Karte Cariad. Die Software-Entwicklungsschmiede soll Europas größten Autobauer beim autonomen Fahren an die Spitze katapultieren. Ein Scheitern dieses Plans hätte fatale Folgen.

Nicht kleckern, sondern klotzen! So lautete jahrzehntelang das VW-Motto. Das bedeutete nichts anderes, als das man nicht immer als Erstes auf einen Entwicklungszug aufspringt, aber wenn man sich für eine Technologie entschied, setzte man die mit vollem Einsatz um. Doch diese Idee des "Fast Followers" klappte in Zeiten des Maschinenbaus, als das Infotainment nur wenig mehr war als ein festinstalliertes Navi, Bluetooth und ein paar Fahrassistenten. Beim VW Golf 6 und seinen Konzernbrüdern war es in erster Linie wichtig, dass die Fugen schmal und die Verarbeitungsqualität hoch ist. Die Technik sollte so modern wie nötig und so robust wie möglich sein.

Krieg um Talente

Im 2020er-Jahrzehnt reicht dieses Erfolgsrezept nicht mehr ganz aus. Die Autos verwandeln sich zu rollenden Multimedia-Boxen, bei denen die Entwicklung wie bei Computern immer schneller vorangeht. Dazu kommt noch das autonome Fahren. Hier ist der zweite schon der erste Verlierer. Zu behaupten, dass die Niedersachsen diesen Trend verschlafen hätten, wird den Wolfsburger Managern nicht gerecht. Schon vor einigen Jahren initialisierte Volkswagen ein Tech-Bündnis mit dem Ziel, möglichst schnell Robo-Autos auf die Straße zu bringen. Dazu ging man auch Kooperationen mit Mobileye, kaufte zusammen mit Daimler und BMW den Kartendienst Navteq und verwandelten diesen in Here. Diese Milliarden-Investition bekam auch branchenweit Applaus, denn zum selbsttätigen Fahren brauchen die Autos extrem präzises Kartenmaterial. Wer über dieses nicht verfügt, wird fast zwangsläufig zum Hardware-Lieferanten für Kartendienste wie Google Maps und Entwicklungsfirmen wie Waymo, das ebenfalls zum Google Dachkonzern Alphabet gehört.


Genau dieses Szenario will man in Wolfsburg verhindern. Deswegen besann man sich alter Stärken und Vorgehensweisen. Im Klartext. Auch bei den ADAS-Systemen (Advanced Driver Assistance System) und dem Infotainment wird wieder geklotzt. Unter der Oberaufsicht von Audi rief man im Juli 2020 die Softwareschmiede Cariad ins Leben, um mit einer konzernweiten Kraftanstrengung den Sprung an die Technologiespitze zu schaffen. Doch mit diesem Ansinnen steht die VW-Tochter nicht alleine da. Also ist ein weltweiter Krieg um die fähigsten Soft- und Hardwareentwickler entbrannt. Mittlerweile hat die VW-Tochter den 1.000 Software-Ingenieur eingestellt. Lara-Marie Volkmann wird an autonomen Fahrsystemen tüfteln.

Ambitionierte Ziele

Zum Vergleich: Tesla-Chef Elon Musk hat der US-Technikseite "CleanTechnica" verraten, dass "der Tesla Autopilot das Ergebnis der Arbeit von 300 extrem talentierten Ingenieuren" ist. Also Klasse statt Masse. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Amerikaner weiter kräftig rekrutieren. Auch für die Gigafactory Berlin-Brandenburg in Grünheide. "Der ADAS-Testingenieur soll die Autopilot-Firmware testen, um die Einhaltung der Vorschriften für das Fahrzeug in den lokalen Märkten sicherzustellen", heißt es in einer Stellenausschreibung des US-Autobauers.

VW: Autonomes Fahren in Portimao (Foto: VW / Meiners)
VW: Autonomes Fahren in Portimao (Foto: VW / Meiners)
Audi Grandsphere Concept (Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Cariad)
(Foto: press-inform / Nvidia)
(Foto: press-inform / Audi)

Die Ziele des VW-Konzerns bleiben indes ambitioniert: Spätestens im Jahr 2026 soll das autonome Fahren des Level 3 möglich sein und mehr. Den Anfang macht das Projekt Artemis, ein effizienter Elektro-Audi "Artemis kommt mit Level 3-Fähigkeiten auf den Markt, hat aber Level 4 im Bauch", verkündet Cariad-CEO Dirk Hilgenberg. Allerdings bleiben auch bei den zukunftsgerichteten Software-Entwicklern das Kompetenzgerangel der alten Konzernwelt nicht aus. Der Artemis-Chef Alex Hitzinger hat das Unternehmen mittlerweile verlassen. Auf eigenen Wunsch, wie es heißt. Hitzinger hatte mit seinem Team das Artemis-Projekt vorangetrieben, auch außerhalb der etablierten Konzernstrukturen. Offenbar ist die Zeit des Freestyle-Agierens vorbei. Die Konzernräson regiert nach wie vor und da sind Extratouren nicht gerne gesehen. Zu viel steht auf dem Spiel. Gut möglich, dass Hitzinger das Kommando "Zurück ins Glied" nicht besonders geschmeckt hat.


Die Last, die auf den Schultern der Cariad-Mitarbeiter lastet, ist eine große. Denn neben Artemis treibt die Tochtergesellschaften auch die Projekte Apollon und Trinity voran. Im nächsten Jahr soll die Premium Plattform Electronic (PPE), die das Resultat einer Zusammenarbeit von Audi und Porsche ist, dynamischen Wind in die Elektroflotte des VW-Konzerns bringen. Ab Mitte des Jahrzehnts sollen dann alle Modelle auf der "Scalable System Platform" (SSP) stehen, die - wie der Name schon verrät - extrem skalierbar sein wird.

(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / VW)
(Foto: press-inform / Cariad)
(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)

An dem Erfolg von Cariad hängt viel ab. Ein Scheitern wäre fatal für den Volkswagen-Konzern. Denn die insgesamt 4.500 Angestellten arbeiten auch an Infotainmentsystemen "Es wird in Zukunft laufend Updates geben, vielleicht sogar wöchentlich"; sagt Audi-Chef Markus Duesmann. Die Arbeiten an neuen Betriebssystemen ist bereits im vollen Gange: Das VW OS 1.2 soll 2022/23 in die Autos kommen, der große Schritt VW OS 2.0 dann zusammen mit den autonomen Fahrfunktionen im Jahr 2025. Aber da hat ja VW mit dem amerikanischen Start-up Argo AI, an dem sich der Autobauer milliardenschwer beteiligt hat, noch einen weiteren Trumpf in der Tasche.

 

 

Autor: Wolfgang Gomoll, München  Stand: 23.10.2021
Fotos: VW / Meiners