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Geisterfahrt durch Shanghai

Audi testet den autonomen Staupiloten in Shanghai (Foto: press-inform / Audi)

Im Verkehrschaos der Millionen-Metropole Shanghai erprobt Audi den autonom agierenden Staupiloten. Wir haben das System, das im neuen A8 ab 2017 für entspanntes Vorankommen im Stopp-and-go-Verkehr sorgen soll, bereits unter die Lupe genommen.

Rush Hour in Shanghai. Selten war ein Ausdruck so fernab der Realität, wie beim Feierabendverkehr der chinesischen Ostküsten-Stadt. Hier herrscht Stopp-an-go, garniert mit abenteuerlichen Aktionen. Was die hiesigen Autofahrer auf der Stadtautobahn so aufführen, würde so manchen deutschen Lenkradkünstler den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Es wird links und rechts überholt, einfach eingeschert oder in Kurven auch mal die Fahrbahnmarkierung mittig unter die Achse genommen. Mittendrin in diesem Wespennest aus Blech zieht ein Audi A7 stoisch hinter einen VW Touran seine Bahn. Das Ganze geschieht ohne Zutuns des Fahrers, der mit verschränkten Armen hinter dem Lenkrad sitzt. Wenn der Vordermann bremst, verlangsamt auch der Audi A7 seine Geschwindigkeit und nimmt auch Kurven souverän. Sobald ein engagierter Autofahrer vor dem autonom agierenden Audi einschert, registriert die Technik das sofort und passt den Fahrstil auf die neue Situation an.

Kein Laser-Scanner hinten

Thomas Müller bringt dieses Chaos nicht aus der Ruhe. Stoisch registriert der Leiter der Entwicklung Brems-, Lenk- und Fahrerassistenzsysteme bei Audi, die Reaktionen des Systems und erklärt dabei noch die Kniffe des Stau-Assistenten, der im nächsten A8 bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h die Luxus-Limousine selbstständig durch den Stop-and-go-Verkehr lotsen soll. Wo könnte dieses System besser auf Herz und Nieren geprüft werden, als im alltäglichen Shanghaier Verkehrswahnsinn.


Anders als beim Bruder-Prototypen, der in Deutschland auf der A9 seine Bahn zieht, fehlt bei diesem Robo-Audi der hintere Laserscanner: "Der Stau-Pilot orientiert sich am Vordermann und vollzieht keine Spurwechsel. Deswegen haben wir die Sensorik auf die Front konzentriert", verdeutlicht Müller die Unterschiede. Interessant ist vor allem die Kamera. Nur ein Auge wacht hinter der Windschutzscheibe, statt der erwarteten zwei, die bei einer Stereokamera üblich wären. In der Tat reicht eine Mono-Kamera, um die relevanten Daten für das autonome Fahren zu sammeln. Das liegt auch an der Bildbearbeitungs-Software, die immer besser wird.

Immer ein Ersatzsystem

Die Kamera schießt 35 Bilder pro Sekunde und gleicht eine ganze Reihe von Aufnahmen in Sekundenbruchteilen ab. Innerhalb von zwei Sekunden kommen also 70 Fotos an, die die Software verarbeiten muss. Dabei wird das Bild auch immer in Relation zu einem statischen Objekt gesetzt. Wird die Struktur, etwa die Umrisse eines Pkws, die auf der Aufnahme zu sehen ist, größer, muss der Auto-Pilot handeln. Die Entscheidung für die Mono-Kamera fiel aus verschiedenen Gründen: Ein Gerät ist billiger als zwei und niemand anderer als VW-Chef Martin Winterkorn hat sich eindeutig zu der auffälligen Technik-Phalanx vor dem Rückspiegel geäußert: "Eine Windschutzscheibe ist zum Durchschauen da, nicht zum Zupflastern!" Im Klartext: Bitte eine Kamera und nicht zwei.

Bis zu 60 km/h funktioniert das System (Foto: press-inform / Audi)
Die Technik soll im nächsten A8 zum Einsatz kommen (Foto: press-inform / Audi)
Die Sensorik ist aus anderen Prototypen, mit denen das autonome Fahren getestet wird, bekannt (Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)

Diese Reduzierung der Linsen könnte sich in der Zukunft positiv bemerkbar machen. Sobald die NCAP auch kreuzende Fußgänger und Radfahrer in das Testergebnis miteinbezieht, wird man eventuell nur drei Kameras brauchen, statt deren sechs, wie das bei der Stereo-Variante der Fall wäre, um die Objekte zu erfassen. Doch zurück zu dem A7, der sich durch die Blechlawine Shanghais kämpft. Bis zu 60 km/h klappt alles. Wie zuverlässig die neue Technik bereits arbeitet, zeigt sich bei einem Blick auf das Display hinter dem Lenkrad, wo der Verkehr und die Fahrzeuge, die sich rings um den Audi befinden, exakt wiedergegeben werden. Sobald die Fahrbahnmarkierungen, an denen sich das System ebenfalls orientiert, verschwinden, mahnt der Autopilot den Fahrer mit einem Zehn-Sekunden-Countdown, wieder das Kommando über das Fahrzeug zu übernehmen.


Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Woher weiß das Auto, dass es sich auf einer Autobahn befindet und kann dann den Stau-Piloten anbieten? Diese Lokalisierung geschieht mit GPS- und den Daten des Navigationssystems. Da immer ein zweites System an Bord sein muss, das einspringt, wenn eines ausfällt, werden auch Kolonnen und baulich getrennte Fahrbahnen in die Entscheidung miteinbezogen.

(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)

In Shanghai neigt sich die A8-Erprobung im A7 ihrem Ende zu. Als sich das Auto dem Ende der Autobahn nähert, geht das Kommando zurück an den Fahrer. "War doch ein guter Stau", sagt Thomas Müller und klingt dabei sehr zufrieden. Diese Meinung dürfte der Audi-Mann in der Blechlawine exklusiv haben.

 

 

Autor: Wolfgang Gomoll, Shanghai  Stand: 26.05.2015
Fotos: press-inform / Audi