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Auf Immerwiedersehen

Die Zahl der Rückrufe erreichte im vergangenen Jahr ein Rekordniveau (Foto: Hersteller)

Die Zahl der Rückrufe in der Automobilindustrie steigt unaufhörlich an. Ein Ende dieser Tendenz ist nicht abzusehen; die Gründe sind hausgemacht

Die oberste amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde N.H.T.S.A. (National Highway Traffic Safety Administration) schlägt Alarm. Im vergangenen Jahr mussten die Autobauer 64 Millionen Fahrzeuge in die Werkstatt zurückrufen - nur in den USA. In Deutschland riefen die Automobilhersteller laut den Analysen des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach mehr als 1,9 Millionen Fahrzeugen aufgrund sicherheitsrelevanter Mängel zurück. Im Jahr zuvor waren es lediglich 1,09 Millionen Autos.

 

Tendenz weiter steigend. Was sind die Ursachen für diese ungeliebten Maßnahmen? Ein Hauptgrund sind die modernen Produktionstechniken. Um die Kosten zu senken, treiben die Automobilhersteller die Gleichteilstrategie auf die Spitze und haben das Baukasten-Prinzip installiert. Läuft alles glatt, will etwa Volkswagen die Zahl der hergestellten Fahrzeuge pro Plattform verdreifachen und sogar ein vergleichsweiser kleiner Autobauer BMW plant bis 2019 pro Architektur doppelt soviele Modelle wie bisher. Wenn sich bei derart vielen identischen Teilen eine fehlerhafte Charge einschleicht, potenziert sich ein Problem gleich massiv. Ein Beispiel: Als der japanische Zulieferer Takata im vergangenen Jahr unter anderem am Honda fehlerhafte Airbags auslieferte, ging die Anzahl der betroffenen Autos gleich in die Millionenhöhe. Auch bei Fiat-Chrysler waren die fehlerhaften Airbags in 3,3 Millionen Autos verbaut.


Zweifellos ist die technische Komplexität moderner Autos in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Man braucht sich nur Anzahl der Fahrerassistenzsysteme vor Augen führen. Bestand die automobile Computertechnik vor zehn bis 15 Jahren aus ESP, ABS und etwas mehr als eine Handvoll Steuergeräte, ist die Zahl der Leitungen, Relais und Rechenchips in letzter Zeit massiv angestiegen. Die von den Autofahrern goutierte gestiegene Sicherheit und Konnektivität wird mit mehr Technik bezahlt, die, wie jeder von seinem PC oder Smartphone weiß, auch fehleranfällig ist. "Dann sollen die doch nur Systeme auf den Markt bringen, die auch ausgereift sind", wird der eine oder andere jetzt gedanklich einwenden. Doch der Wettbewerb ist stramm und gnadenlos. Zusätzliche Qualitätsschleifen während der Produktion kosten Geld, das der Kunde nicht immer ausgeben will. Zumal das Auto auf der Prioritätenliste der Menschen immer weiter nach unten rutscht.

Zumal der Wettbewerb zwischen den Autobauern immer mehr an Schärfe gewinnt. Dieser Preis- und Konkurrenzdruck wirkt sich auch auf die Produktzyklen aus. Standen bisher durchschnittlich alle sieben Jahre Modellwechsel an, werden die Abstände bald auf fünf Jahre sinken. Hersteller wie Hyundai haben da das Tempo spürbar angezogen. Der Wettlauf auf die Nischen verstärkt diese Tendenz nur noch. Nur wer es schafft, schnell auf Kundenwünsche zu reagieren, neue Segmente zu besetzen und so sein Modellportfolio aktuell zu halten, hat eine Chance im globalen Wettbewerb. "Der hohe Zeitdruck in der Produktentwicklung wirkt sich negativ auf die Qualitätssicherung aus", fasst Professor Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management die Konsequenzen zusammen.

Bei VW werden möglichst viele Gleichteile verwendet (Foto: Hersteller)
Zulieferer wie Magna liefern die Bauteile "Just in Time" (Foto: Magna)
Die globalen Produktionsnetzwerke potenzieren das Qualitätsproblem (Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: BMW)
(Foto: Bosch)

Um diesem Druck entgegenzuwirken, wälzen die Autobauer einen immer größer werdenden Teil der Kosten an die Zulieferer ab. Der designierte Volkswagen-Markenchef Herbert war zu seiner Zeit als oberster BMW-Einkäufer unter den Lieferanten als gnadenloser Kostenschleifer gefürchtet. Damit ist der Preisdruck noch längst nicht beendet. Die erste Garde der Zulieferer gibt diese Einsparungen an die Unternehmen weiter, die ihnen die Teile beziehungsweise die Rohstoffe liefern. Mit einer derart erbarmungslosen Kostenreduktion wächst auch die Gefahr, dass die Qualität der gefertigten Teile sinkt und das führt zu Defekten.


Mit diesen Kostenrunden sägt die Automobilindustrie letztendlich an dem Ast, auf dem sie sitzt. Denn die Zulieferer nehmen bei der Fertigung der Fahrzeuge einen immer größeren Teil ein. Der Wertschöpfungsanteil von Bosch, Continental & Co. ist mittlerweile auf 75 Prozent gestiegen. Immer mehr Teile des Autos werden als fertige Module geliefert. Um die anspruchsvolle Beschaffenheit der Bauteile zu sichern, ist ein unternehmensübergreifendes Qualitätsmanagement nötig. Das ist an sich schon sehr komplex, wenn man dann noch die Menge der verschiedenen Elemente und die Tatsache, dass dieser Prozess global perfekt funktionieren muss, in Betracht zieht, wird klar, wie fragil dieses Produktions-Konstrukt ist. Für Stefan Bratzel wandern die Autobauer auf einem schmalen Grat. " Die Analyse der globalen Hersteller zeigt, dass insbesondere hohe Wachstumsziele die Hersteller dazu verleiten können, die Qualitätsanforderungen zu vernachlässigen." Der Automobil-Experte schiebt gleich einen Lösungsansatz nach. " Die Automobil-Hersteller müssen die Kraft haben, sich im Zweifel gegen kurzfristige Kosten- und Vertriebsziele durchsetzen zu können. Auftretende Qualitätsmängel müssen darüber hinaus durch den Hersteller schnell identifiziert werden, bevor bedingt durch die Gleichteilestrategien die Auslieferungen Millionenhöhe erreichen."

(Foto: Hersteller)
(Foto: press-inform)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)
(Foto: Hersteller)

 

 

 

Autor: Wolfgang Gomoll, München  Stand: 21.03.2015
Fotos: Hersteller