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Krawall war gestern

Mercedes AMG EQS 53 4matic (Foto: Oliver Schwarz)

AMG, der sportliche Markenableger von Mercedes, hat sich in den vergangenen Jahren zu einer emotionalen Sportwagenmarke von Weltruf entwickelt. Der große Umschwung auf die Elektromobilität macht das Ganze jedoch nicht einfacher. Bestes Beispiel ist der neue Mercedes AMG EQS 53.

Bisher hatten die AMG-Modelle überaus auffällige Kernwerte. Zu einem war das das Design, eher krawallig als zurückhaltend, und zusammen mit dem bollernden Sound eine nahezu perfekte Symbiose für alle Kunden, wie zeigen wollten, wo der Hammer hängt. Da macht ein AMG 45 keinen großen Unterschied zum prächtigen Topmodell AMG GT Black Series. Wer es zurückhaltender wollte, stieg in den ein oder anderen Wettbewerber oder setzte sich besten Gewissens in die ebenfalls prächtig motorisierten Serienmodelle mit Stern. Mit der Elektromobilität wird nahezu alles anders und das bekommt als erster der mindestens 152.552 Euro teure AMG EQS 53 zu spüren. Auch wenn es bei der One-Box-Limousine hier und da ein paar sportliche Details zu erkennen gibt und das sportlichste Elektromodell aus dem aktuellen Sternenbanner mit seinem Trainingsdress durchaus zu erkennen gibt, dass er für dynamischen Vortrieb steht, ist er ein ganz normaler EQS. Bereits der ist in seinen beiden aktuell verfügbaren Versionen EQS 450 / 580 prächtig motorisiert wobei optische Dreingaben wie mächtiges Spoilerornat oder ausgestellte Kotflügel auch beim AMG-Topmodell fehlen.

Surrender Warp-Antrieb

Dabei verschlagen einem die Fahrleistungen des EQS-AMG nicht nur beim visuellen Erstkontakt die Sprache, obwohl er nicht die prestigeträchtige 63er-Nomenklatur am Heck tragen darf. Die beiden Elektromotoren an Vorder- und Hinterachse leisten üppige 484 kW / 658 PS und ein maximales Drehmoment von 950 Nm. Als ob das nicht sportlich genug wäre, gibt es mit dem Dynamic-Plus-Paket einen stattlichen Nachschlag auf 560 kW / 761 PS und bis zu 1.020 Nm. Der Schub ist aus dem Stand ebenso wie aus nahezu jeder anderen Geschwindigkeit nicht mehr als gewaltig zu bezeichnen. Ein Tritt aufs rechte Pedal lässt einem beinahe die Gesichtszüge entgleisen und presst die Insassen unvermittelt in die sehr guten Ledersitze als wäre man in einem Formel-Renner unterwegs. Das Problem dabei: im normalen Fahrbetrieb und selbst deutlich darüber hinaus ist der AMG-Unterschied zum alles andere als schlapp motorisierten Mercedes EQS 580 4matic kaum spürbar. Ein Muss: der serienmäßige Allradantrieb, der die Antriebsmomente je nach Fahrsituation variabel zwischen Vorder- und Hinterachse verteilt. Das Drehmoment wird 160-mal pro Sekunde gemessen und bei Bedarf gestellt.


Aus dem Stand geht es so für den 53er je nach Fahrprogramm und Ladestand der 107,8-kWh-Batterie in 3,4 bis 3,8 Sekunden auf Tempo 100. Doch der schwächere Bruder ohne AMG-Insignien gibt einem mit 4,3 Sekunden ebenso alle Möglichkeiten. Immerhin: während der Standard-EQS im Vergleich zu den meisten Konkurrenten allzu früh bei 210 km/h eingebremst wird, darf der EQS AMG 250 km/h schnell rauschen. Leider oder eben zum Glück ohne das bollernde Klangstakkato, das den Modellen aus Affalterbach bisher diesen unverwechselbaren Charme gab, der so viele Kunden beglückte. Jetzt kann man den Vortrieb ähnlich wie bei Porsche Taycan oder Audi E-Tron GT durch künstliche Klangwelten im Stile eines Warp-Antriebs untermalen lassen. Doch die meisten Kunden dürften den Captain-Future-Sound zu Zylonen und Klingonen verbannen und lieber ebenso lässig wie dynamisch ohne störende Geräuschkulisse durch die Welten düsen.

Powercruiser

Es ist eben der nennenswerte Unterschied, der fehlt und hier teilt der 5,22 Meter lange Mercedes AMG EQS 53 das Schicksal seiner weniger luxuriösen Wettbewerber Audi E-Tron GT, Porsche Taycan oder dem in die Jahre gekommenen Tesla Model S. Der reale Mehrwert, den die Sportversion seinem potenziellen Kunden optisch wie technisch bietet, ist überschaubar. Und um gegen ein Plaid-Model-S oder einen Lucid am Stammtisch des Los Angeles Countryclubs für offene Münder zu sorgen, dafür sind selbst die Boost verfügbaren 761 PS nicht genug, denn die Wettbewerber aus den USA China bieten ebenso abstruse 1.000 PS oder mehr. Zudem fehlt dem Mercedes EQS auch als edle 53er-AMG-Version jene Ausstattungsnoblesse, mit der eine Mercedes S-Klasse seine Kunden im Alltag verwöhnt.

Mercedes AMG EQS 53 4matic (Foto: Oliver Schwarz)
Mercedes AMG EQS 53 4matic (Foto: Oliver Schwarz)
Mercedes AMG EQS 53 4matic (Foto: Oliver Schwarz)
(Foto: Oliver Schwarz)
(Foto: Oliver Schwarz)
(Foto: Oliver Schwarz)

Die größte Stärke bleibt das exzellente Gesamtpaket mit viel Komfort, grenzenlosen Schub und jede Menge Langstreckenqualitäten. Die Abstimmung von Federn und Dämpfer mit Luftunterstützung und elektronische Regelung ist gelungen und beim genaueren Hinhören auch eine Oktave sportlicher als beim EQS 450 / 580. Gut: die serienmäßige Allradlenkung. Doch wirklich große Unterschiede gibt es für Fahrer und Passagiere kaum zu erfahren. Sie freuen sich über das großzügige Platzangebot, die zahlreichen Fahrerassistenz- sowie Komfortfunktionen und werden speziell auf den nichteuropäischen Märkten wohl die fehlende Langversion ebenso vermissen wie vollelektrische Komfortsitze im Fond. Hier ist die Mercedes S-Klasse in der 2022 folgenden AMG-Version als Powerhybrid einfach konkurrenzlos. Doch der AMG EQS kann eben nicht nur sportlich, sondern auch effizient. Mit einem Normverbrauch von 21,1 bis 24,3 kWh / 100 sind mit einer Akkuladung deutlich mehr als 500 Kilometer drin. An einem Schnelllader erstarkt das elektrische Luxusmodell aus Sindelfingen in 20 Minuten für die nächsten 300 Kilometer. Bei einer Vollbremsung liegt die Rekuperationsleistung mit mächtigen 300 kW, die die Reichweite nennenswert verlängern.

Autor: Stefan Grundhoff, Palm Springs  Stand: 19.12.2021
Fotos: Oliver Schwarz  

 

(Foto: Oliver Schwarz)
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