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Siziliens Ledervirtuose

Ciccio mit einem seiner Schuhe (Foto: press-inform / Porsche)

Francesco "Ciccio" Liberto kennt jeder Rennfahrer. Der umtriebige Schuster aus einem kleinen Kaff im Norden Siziliens fertigte jahrelang Rennschuhe für die besten Autofahrer der Welt an. Auch Niki Lauda und Sebastian Vettel gehören zu seinen Kunden.

Cefalù ist genau das, was man sich unter einem sizilianischen Badeort vorstellt. Lange Sandstrände, verwinkelte Gassen, kleine beige Häuschen mit flatternden Kleidungsstücken, einem pittoresken Felsen ("Rocca di Cefalù) und eine Normannen-Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert. In dem ehemaligen Fischerdorf, das gut eine Autostunde von Palermo entfernt liegt, kennt jeder jeden. Sobald ein kleiner Mann mit leicht tippelndem Gang die Straßen entlang flaniert, schalt es fast aus jeder Ecke "Ciao Ciccio" - gefolgt von einer herzlichen Umarmung, wie sie auf der Mittelmeer-Insel üblich ist. Ciccio heißt eigentlich Francesco Liberto und ist Schuster. Nichts Außergewöhnliches möchte man meinen, bis man seinen kleinen Laden direkt an der Strandpromenade sieht.

Auch Ferrari will die Schuhe

Von außen gleicht das Geschäft einer jener typischen mediterranen Verkaufsecken. Eine Tür, ein Fenster, das war\'s. Sobald man den Raum betritt, verwandelt sich Ciccios Schmunzeln in ein Lachen und man taucht in eine andere Welt ein. Überall im Laden findet man Schuhmacher-Leisten, Formen und Lederstücke. Dazwischen stehen Schuhe in allen erdenklichen Farbkombinationen: kunterbunte, weiße und beige. Die Fußkleider liegen durcheinander, heillos aufeinandergestapelt auf Schuhkartons, wie auf einem Schluss-Verkaufs-Wühltisch. Normale Straßenschuhe oder filigrane Leder-Exemplare mit einer dünnen Sohle und einer Sechs-Ösen-Schnürung. Rennfahrer-Schuhe, wie sie die Lenkrad-Heroen in den wilden 60ern und 70ern trugen, als die harten Kerle nach dem Grundsatz fuhren: "lebe schnell und sterbe jung".


"Als ich 1975 einen Anruf von Ferrari bekam, war ich wie vom Donner gerührt. Ich sollte doch tatsächlich Schuhe für die Scuderia machen", erzählt Ciccio mit ehrfürchtig bebender Stimme. Einer seiner Schätze ist ein schlichter schwarzer Leder-Rennschuh: "Niki Lauda hat 1977 mit diesem Modell die Weltmeisterschaft gewonnen", erzählt der temperamentvolle Sizilianer stolz. Anders als James Hunt, der die Eigenart hatte, die Spitzen seiner Schuhe abzuschneiden schwur der österreichische Perfektionist, auf die sizilianische Maßanfertigung und das Gefühl, die sie seinen Sohlen zum Bremsen und Gasgeben verlieh. Doch Herzlichkeit ist die Sache des kühlen Österreichers nicht. "Ich habe Niki Lauda damals nicht persönlich getroffen", bedauert der Schuhmacher. Er ließ sich eine Zeichnung von dem Fuß des Ferrari-Piloten schicken und fertigte das Schuhwerk nach diesem Muster.

Der Zufall hilft

Noch heute findet sich der Leisten, den Ciccio 1975 für Niki Lauda maßgefertigt hat, im Laden. Der hat sich auch mit einer Widmung inklusive Unterschrift verewigt: "To Ciccio di Cefalu" steht da in krakeliger Handschrift. . Die Wände seines kleinen Laden sind gefüllt mit Photos, die die Formel-1-Stars mit seinen Schuhen zeigen. Clay Regazzoni, Jacky Ickx und auch Niki Lauda. Nachdem die FIA die Echt-Leder-Schuhe wegen der Feuerschutz-Bestimmungen verboten hatte, stieg Ciccio auf Leder-Gürtel und andere Schuhe um. Seine berühmten Rennschuhe macht er nur noch für spezielle Kunden. Oder für ein Hollywood-Spektakel. In dem Rennfahrer-Epos "Rush" trägt Daniel Brühl, der Niki Lauda spielt, echte Ciccios. Aber nicht nur die Heroen der wilden 70er erweisen dem Meister des ultra-bequemen Fußkleides ihre Verehrung. Auch Sebastian Vettel weiß Ciccios Kunst zu schätzen: "Für Herrn Cicco. Danke für die Schuhe!", bedankt sich der viermalige Formel-1-Weltmeister artig. Wer kann schon von sich behaupten, eine Vettel-Signatur inklusive Schreibfehler zu haben.

Diese Leisten haben viele Jahre auf dem Buckel (Foto: press-inform / Porsche)
In Ciccios Laden herrscht scheinbares Chaos (Foto: press-inform / Porsche)
Ciccio fertigte von jedem Rennfahrer-Fuß eine Skizze an (Foto: press-inform / Porsche)
(Foto: press-inform / Porsche)
(Foto: press-inform / Porsche)
(Foto: press-inform / Porsche)

Francesco Liberto wurde durch seine Mama zum Beruf des Schusters gebracht. Er solle etwas Anständiges lernen, um zu überleben, beschied sie ihm. Damals kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war das Leben auf Sizilien hart. Ciccio half bei einem Schuster aus und fand Gefallen an dem Handwerk. Doch er hatte noch eine andere Leidenschaft - Autorennen. Jedes Jahr trafen sich die besten Fahrer der Welt, um mit ihren heißen Öfen auf den kurvenreichen Straßen der Insel bei dem legendären Langstrecken-Rennen "Targa Florio" der Haftungsgrenze ein Schnippchen zu schlagen. Bei seinen Streifzügen, um die Boliden zu bewundern, traf er Mitte der 1960er Jahre die bekannten italienischen Rennfahrer Nanni Galli und Ignazio Giunti. Als er von seinem Beruf erzählte, wollte Giunti ein Paar Rennschuhe. "Ich hatte keine Ahnung, wie ich die machen sollte", lacht Ciccio heute. Er machte sich an die Arbeit und brachte dem Piloten wenige Tage später die Schuhe. Giunti war hellauf begeistert und so fing der Siegeszug der Latschen mit den dünnen Sohlen an. "Früher haben die Piloten Schuhe mit Absätzen getragen. Ich habe die Rennschuhe erfunden", strahlt der Sizilianer.


Nach diesem Coup hatte Francesco Liberto salzige Meeres-Morgenluft gewittert. Immer wieder kam er in die Restaurants, in denen sich die Fahrer trafen, und bot ihnen an, Maßschuhe zu machen. Die Lenkrad-Künstler gingen gerne darauf ein. Ciccio hatte immer sein Blatt Papier dabei und malte die Umrisse der Füße. Vic Elford hatte es dem Sizilianer besonders angetan. Elford war nach einem Unfall als Kind eine Zehe des linken Fußes amputiert worden. Ciccio nahm Maß, hämmerte, nähte und schnitt die ganze Nacht durch und brachte dem Engländer die Schuhe, der stieg in seinen Porsche 907 und fuhr 1968 die gesamte Konkurrenz in Grund und Boden. "Ciccio war immer da und half", erinnert sich Gijs" van Lennep, der die Targa Floro 1973 gewann und heute noch mit Freude Schuhe und Gürtel trägt, die von Ciccio maßgeschneidert sind. Wie viel die Schuhe eigentlich kosten, weiß keiner. Der Preis ist Verhandlungssache - für Rennfahrerfreunde sind die Schuhe umsonst.

(Foto: press-inform / Porsche)
(Foto: press-inform / Porsche)
(Foto: press-inform / Porsche)
(Foto: press-inform / Porsche)
(Foto: press-inform / Porsche)
(Foto: press-inform / Porsche)

Als die FIA feuerfeste Rennschuhe vorschrieb, endete der Siegeszug der Ciccio-Maßanfertigungen vorerst. Nun produziert er neben seinen Klassikern. er eben Gürtel und auch konventionelle Schuhe an. Noch heute, im Alter von 80 Jahren, sitzt Ciccio in seiner kleinen Werkstatt im Herzen Cefalùs und fertigt seine legendären Schuhe. Der sizilianische Schuster freut sich immer noch wie ein kleines Kind, wenn er über seine Schuhe und seine Schuhmacher-Kunst spricht, die UNESCO Kulturerbe Siziliens gehört.

 

 

Autor: Wolfgang Gomoll, Cefalù   Stand: 18.05.2016
Fotos: press-inform / Porsche