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Latino-Sportler

Audi TT RS Coupé 8J (2009) (Foto: press-inform / Audi)

Mit dem ersten Audi TT RS feierte der legendäre Fünfzylindermotor ein fulminantes Comeback. Die Entwicklung des Kompaktsportlers ähnelte einer Nacht- und Nebelaktion, deren Resultat selbst den allgewaltigen Konzernchef Martin Winterkorn überraschte.

Manchmal braucht es einen Befreiungsschlag, um einem Automobil eine Aura zu verleihen. Der Audi TT war so ein Fall. Anfang der 2000er-Jahre stand der Kompaktsportler deutlich im Schatten des in der Spitze stärker motorisierten Porsche Cayman. An Stammtischen wurde der Roadster gerne mal als platt gedrückter A3 bezeichnet. Zudem waren vielen noch die Probleme mit dem "leichtfüßigen Heck" des ersten TTs in Erinnerung. Das sollte sich mit der zweiten Generation des Kompaktsportlers ändern. Bei der Quattro GmbH reifte beim Geschäftsführer Werner Frowein und dem Entwicklungschef Stephan Reil 2005 die Idee, einen sportlichen Zweisitzer zu bauen, der es mit dem Konkurrenten aus Zuffenhausen aufnehmen konnte. "Dem TT RS lagen zwei Ideen zugrunde: Zum Einen, dass der TT als Sportwagen viel mehr kann als die Allgemeinheit glaubt und zum anderen wollten wir unser sportliches Portfolio in die Kompaktklasse ausweiten."

Die Lösung kommt aus Südamerika

Die Entwicklung der dynamischen TT-Speerspitze begann noch vor der Vorstellung der zweiten Generation des Audi Roadsters im März 2006. Aus Geheimhaltungsgründen packten die Entwickler den Fünfzylinder in einen zweitürigen Audi A3. Wie schon beim ersten VW Golf GTI, wusste nur ein eingeschworener Kreis von rund 20 Personen Bescheid. Um so ein Projekt unter dem Radar fliegen zu lassen, half es, dass die Quattro GmbH noch eine überschaubare Größe hatte und so alles auf den - im wahrsten Sinne des Wortes - kurzen Dienstweg erledigt werden konnte.


Das Entscheidende war der Motor. Der musste quer eingebaut werden. Aufgrund des begrenzten Bauraums der PQ35-Plattform samt Quereinbau-Konzept war ein Sechszylinder keine Option und die zwei Liter TFSIs hatten nicht die Leistung, die sich die Quattro-Macher wünschten. Es mussten auf alle Fälle deutlich mehr als 300 PS sein. Die Lösung für diese Probleme fand man in Südamerika. Denn VW hatte für einen Jetta in Südamerika den Fünfzylinder reanimiert. Das Aggregat war ein 170 PS MPI-Sauger, mit zweieinhalb Litern Hubraum und einem massiven Graugussblock.

Winterkorn gibt sein Placet

"Für uns war das eine super Basis, um da einen anderen Zylinderkopf drauf zu machen. Hub und Bohrung haben genau zu unseren Fertigungseinrichtungen gepasst und ein Fünfzylinder ist für uns ein halber V10, also hatten wir auch die passenden Köpfe", erinnert sich Stephan Reil. Die Umsetzung war dann keine Raketenwissenschaft mehr. Die Techniker packten einen TFSI-Kopf auf den Motor, dazu die passenden Lader und Auspuffkrümmer inklusive Rohre sowie Schläuche. "Als der zum ersten Mal losgefeuert ist, ist älteren Kollegen, die noch den Sound des Rallye S1 kannten, das Herz aufgegangen", erzählt Stephan Reil. Beim Motor, der letztendlich im Audi TT RS debütierte, haben die Techniker das Kurbelgehäuse und die -Konstruktion des Ursprungsmotors übernommen. Lediglich der Block wurde mit dem Material der TDI-Motoren gegossen, weil dieses von der Festigkeit besser war

Audi TT RS Coupé 8J (2009) (Foto: press-inform / Audi)
Der Motor des Audi TT RS Coupé 8J (2009) (Foto: press-inform / Audi)
Audi TT RS Coupé 8J (2009) (Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)

Um das Projekt, das mittlerweile eine Herzensangelegenheit der Audi-Dynamiker geworden war, voranzutreiben, brauchte es den Segen von ganz oben. Das bedeute damals vom VW-Chef Martin Winterkorn. Ein Placet des Konzernobersten würde sämtliche Türen öffnen. Im Mai 2006 weilte "WiKo" in Ingolstadt und die Truppe um Stephan Reil wollte die Chance nutzen und den Boss mit einem Prototypen überzeugen. Das Test-Auto sah von außen aus wie ein ganz normaler TT und der allmächtige VW-Chef wollte erst gar nicht einsteigen. "Kenne ich doch schon". Daraufhin bat ihn Stephan Reil doch mal die Motorhaube zu öffnen und die Kerzenstecker zu zählen. Eins, zwei, drei, vier…. fünf. Das war für den Vollblutingenieur Grund genug, sich hinter das Lenkrad zu schwingen. Nach der Testfahrt mit dem 350-PS-Prototypen war der Konzernchef begeistert und hat das Projekt unterstützt. Mehr brauchte es nicht, um den Audi TT RS Realität werden zu lassen. Ein Doppelkupplungsgetriebe kam für den ersten TT RS zunächst aufgrund des Drehmoments nicht infrage. Also holten sich die Entwickler das Sechsgang-Handschaltgetriebe aus dem VW Bus T5, genauso wie später das Doppelkupplungsgetriebe.


Wir haben den Ur-TT RS auf dem berühmten Rallye-Strecken des Col de Turini bewegt und sind fest davon überzeugt: Wenn TT RS, dann handgerissen. Denn nur so kann man den dumpf brabbelnden Fünfzylinder bei Laune beziehungsweise Drehzahlen halten. Noch heute ist die Kurvenhatz in dem knackig abgestimmten Coupé ein wahres Vergnügen, allerdings meldet bei Lastwechseln auch mal das Heck zu Wort, was aber nie zum Problem wird. Kein Wunder, dass der Audi TT RS dem Platzhirsch Porsche Cayman S den Thron streitig gemacht hat. Wenn man Stephan Reil fragt, auf was er bei "seinem" TT RS besonders stolz ist, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. "Auf den Motor! Schauen Sie sich an, in wie vielen Fahrzeugen der mittlerweile verbaut ist. Das ist eine Erfolgsgeschichte!"

(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)
(Foto: press-inform / Audi)

Aber auch im Rennsport fuhr der kompakte Sportler seine Meriten ein. "Wir haben dem Vorstand gesagt, dass der TT RS auch im Rennsport aktiv und erfolgreich sein muss, dann wir er wirklich ernst genommen", erzählt Stephan Reil. Für die Langstreckenmeisterschaft VLN stellten die Techniker gemeinsam mit Rader Motorsport einen extremen TT RS auf die Räder, der in der seriennahen Klasse SP3T angetreten ist. Aller Ehren wert, aber gegen die hochgezüchteten GT3-Autos chancenlos. Eigentlich. Es sei denn, es regnet in Strömen, man ist auf der Nordschleife unterwegs und hat das Auto auf Abtrieb abgestimmt. Beim letzten Einsatz 2012 des Renn-TT RS beim sechs Stunden Rennen auf der Nordschleife passten alle Faktoren. Das Team legte eine perfekte Strategie hin, hatte immer die richtigen Gummis auf den Achsen und es regnete die meiste Zeit wie aus Eimern. Damit war der Vorteil der Kraftbolzen-GT3 wie dem Phoenix R8 bis auf die Döttinger Höhe egalisiert und der Audi TT RS holte sich den Gesamtsieg. Was nur wenige wissen: mit einem frontgetriebenen Fahrzeug.

 

 

Autor: Wolfgang Gomoll, München  Stand: 15.11.2021
Fotos: press-inform / Audi