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Von wegen Taxi

Mercedes 280 E der Baureihe W115 / Strich-Acht - gebaut von 1968 bis 1976 (Foto: Seufert)

Der Mercedes Strich-Achter wurde in Europa und Afrika gleichermaßen zur Legende. Die üppig dimensionierte Wanderdüne bestimmte in den 70ern das Straßenbild als elfenbeinfarbener Dauerläufer. Bis heute ist kein Taxi ist mehr Taxi als der Strich-Achter.

Doch es geht eben auch ganz anders. Denn auch wenn die meisten Strich-Achter (offizielle Bezeichnung W 114 / 115) als schwächlich motorisierte Taxis erst den europäischen und dann den afrikanischen Kontinent mit ihrer unverwüstlichen Langlebigkeit in Besitz nahmen, war der als Vorläufer der aktuellen E-Klasse-Generation nicht nur als müde motorisierter 200 D, kaum stärkerer 220 D oder als 240 D zu bekommen. Gerade in den USA machten die leistungsstärkeren Versionen 250, 280 und 280 E von sich reden. Das Topmodell 280 E ist auch nach heutigen Maßstäben eine Versuchung und wird auf dem Oldtimermarkt kaum angeboten.

Blasse Alltags-Noblesse

Man muss kein Pädagoge sein, der sich mit zahllosen Taxi-Nachtschichten ebenso mühsam wie schlafarm sein Endlos-Studium finanzierte, um den Strich-Achter wie einen guten, alten Freund Achter zu kennen. Die meisten hockten beinahe rund um die Uhr auf heruntergerockten Kilometerfressern in Elfenbeinlackierung, technisch nicht aus der Ruhe zu bringen und vergleichsweise kostengünstig zu reparieren. Beim Strich-Achter kommen viele bis heute ins Schwelgen, lassen ihre Studienzeit Revue passieren oder erinnern sich an wilde Fummeleien im väterlichen Familienfahrzeug mit der damaligen Freundin. Die Mercedes Baureihe W 114 (Sechszylinder) und W 115 (Vier- und Fünfzylinder), von 1968 bis 1976 produziert, waren das erste echte Volumenmodell von Mercedes-Benz. Mit knapp zwei Millionen produzierten Fahrzeugen verkaufte Daimler so viele Strich-Achter wie vorher von allen Mercedes-Fahrzeugen zusammen. Der Strich-Achter mit der größten nachgewiesenen Laufleistung ist ein 240 D, der von 1976 bis 2004 unglaubliche 4,6 Millionen Kilometer zurücklegte und es damit ins Daimler-Museum schaffte.


Das Design des Strich-Achters ist unspektakulär, betont praktisch und bei weitem nicht so filigran wie die Luxusmodelle der Baureihen W 100, W 108, W 111 oder W 116. Der 4,68 Meter lange Strich-Achter war ein zu seiner Zeit großzügig dimensioniertes Modell der Oberklasse mit Platz für fünf Personen, jede Menge Gepäck und einer zumeist schlappen Motorisierung. Egal ob die taxigeneigten Diesel mit Leistungen zwischen 55 und 65 PS oder die blassen Benziner vom Typ 230.4, 230.6 oder 250, die bis zu 130 PS leisteten - Verve kam am Steuer bei keinem der Varianten auf. Dass es auch anders geht, zeigt allein das Topmodell 280 E mit einer Benzineinspritzanlage von Bosch, die 136 kW / 185 PS aus der Limousine herausdrückte. Beinahe dynamisch wird es gar mit der handgeschalteten Version. Anders als man es von den meisten Modellen der Baureihe W 114 / 115 kennt, befindet sich die Viergangschaltung dann auf der Mittelkonsole zwischen Fahrer und Beifahrer. Die meisten Strich-Achter in unseren Breiten waren mit einer Getriebeautomatik unterwegs, deren Schaltstufen am Lenkrad eingelegt wurden.

Luxus kostet viel extra

Waren die 280er-Versionen auch in europäischen Breiten gut ausgestattet, so hat dieses Modell nicht viel an besonderem Komfort zu bieten. Außer der Servolenkung gibt es ein Blaupunkt-Radio mit elektrischer Antenne sowie Colorglas. Doch damit hat es sich auch. Mit Annehmlichkeiten wie elektrischen Fensterhebern, einem ebensolchen Schiebedach, Klimaanlage, Zentralverriegelung, Kopfstützen rundum sowie Ledersitzen und Alufelgen ließ sich der Preis eines Mercedes 280 E Mitte der 70er Jahre bis weit über 30.000 D-Mark drücken. Das nackte Basismodell des Mercedes 200 Benziner kostete dabei kaum mehr als 13.000 D-Mark.

Mercedes 280 E der Baureihe W115 / Strich-Acht (Foto: Seufert)
Mercedes 280 E der Baureihe W115 / Strich-Acht - der typische Gitter-Kühlergrill (Foto: Seufert)
Mercedes 280 E der Baureihe W115 / Strich-Acht - später bekamen die Rückleuchten eine Riffelung (Foto: Seufert)
(Foto: Seufert)
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(Foto: Seufert)

Doch auch ohne Komfortausstattung ist die Fahrt in dem Sternenkreuzer der frühen 70er ein echtes Erlebnis. Der Sechszylinder-Reihenmotor ist drehfreudig und wohl auch die Laufleistung von abgelesenen 31.000 Kilometern hat ihren Anteil daran, dass in den vergangenen 45 Jahren nicht allzu viele Pferde hinter dem mächtigen Gittergrill verloren gingen. Mercedes versprach seinerzeit eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h und einen Normverbrauch von 12,5 Litern Superkraftstoff. Dabei hat der 1,5 Tonnen schwere Hinterradler durch seine Einspritzanlage vom Typ D-Jetronic gerade beim Ausdrehen der einzelnen Gänge einen charismatischen Klang, wie ihn nur die Luxusmodelle aus dem Hause Mercedes-Benz hatten. Schließlich wurde der 2,8-Liter-Motor auch im Strich-Achter-Coupé sowie den Luxusmodellen S-Klasse, SL und SLC verbaut.


Die Beschleunigung ist unverändert eindrucksvoll, wenngleich die völlig gefühllose Lenkung und die vier müden Scheibenbremsen einen dazu zwingen, allzeit die Kontrolle zu bewahren. Auf dem blauen Kunstleder ist Seitenhalt ein Fremdwort. Vorne gibt es Gurte, doch Kopfstützen fehlen vorne wie hinten. Wie ein träger Koloss legt sich weiße 280er sanft in die Kurven und durchschneidet diese mit der gleichen Ruhe, wie er als 60-PS-Diesel im Taxialltag Millionen von Alltagskilometern zurücklegte. Vorne bietet das Strich-Achter-Fahrwerk zu seiner Zeit erstmals wartungsfreie Doppel-Querlenker, während hinten eine komfortablere Schräglenkerachse verbaut wurde. Echte Dynamik sollte man trotzdem nicht erwarten. Es muss aber bei einem Strich-Achter nicht immer ein Diesel sein. Wer auf den Geschmack gekommen ist: eine 280 E Limousine aus den USA startet in mäßigem Zustand bereits deutlich unter 10.000 Euro. Im Topzustand ist unter 20.000 Euro dagegen nichts zu machen. Dabei gibt es deutlich mehr S-Klassen der Baureihen W 108 / 116 als die legendären Strich-Achter mit dem 280er-Triebwerk. Die meisten waren eben Dieseltaxis und die sind nach dem Dienst in Deutschland zumeist nach Afrika verschwunden.

(Foto: Seufert)
(Foto: Seufert)
(Foto: Seufert)
(Foto: Seufert)
(Foto: Seufert)
(Foto: Seufert)

 

 

 

Autor: Stefan Grundhoff, Schwarzwald  Stand: 03.05.2016
Fotos: Seufert