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Es lebe der Föderalismus
VW stellt sich neu auf. Das betrifft nicht nur die Elektromobilität, sondern auch die gesteigerte Autonomie der Märkte. Dieser demokratisch-föderalistische Ansatz hat auch überraschende Konsequenzen für die europäische Modellpalette.

Es lebe der Föderalismus

Der VW Nivus wird auch in Europa gebaut werden (Foto: press-inform / VW)

VW stellt sich neu auf. Das betrifft nicht nur die Elektromobilität, sondern auch die gesteigerte Autonomie der Märkte. Dieser demokratisch-föderalistische Ansatz hat auch überraschende Konsequenzen für die europäische Modellpalette.

An einem Novembertag vor rund zwei Jahren ereignete sich in Sao Paulo bahnbrechendes: José Carlos Pavone präsentierte dem VW-Vorstand seine Vision eines Coupé Crossovers in der Polo-Klasse, im Konzern-Duktus "A0 CUV". Als das Tuch von dem Fahrzeug gezogen wurde, applaudierten VW-Chef Herbert Diess und Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann spontan. Eine solche Szenerie wäre vor ein paar Jahren unter der harten Herrschaft Martin Winterkorns, bei der die Konzernzentrale alle Fäden in der Hand hielt und Entscheidungen über die Köpfe der einzelnen Regionen hinweg traf, undenkbar gewesen.

Neue Strategie seit 2016

Nicht nur, dass der Nivus, so der Name des rund 4,30 Meter langen kleinen Crossovers, ab 2020 in Brasilien neue Käufer zu VW locken soll, der Latino-SUV wird auch ab 2021 nach Europa kommen und die Modellpalette des Niedersächsischen Auto bereichern. Grund genug einen kurzen Blick auf den südamerikanischen Neuankömmling zu werfen, der auf dem MQB-Baukasten basiert und sich die Technik mit dem Polo teilt. Der Radstand und die Spurbreite sind identisch, ebenso die Türen, die man eins zu eins austauschen kann, und das Interieur, die Räder kommen vom brasilianischen T-Cross.


Lediglich das Heck und die Front gestalteten die Formengeber so um, dass man nicht erkennt, welche technische Basis dem Fahrzeug zugrunde liegt. Beim Hinterteil schauten sich Pavoni und sein Team den Überhang des Skoda Rapids genau an, adaptierten die Ideen der Tschechen und waren so in der Lage, einen geräumigen Kofferraum und eine "schnelle", weil schrägstehende C-Säule zu kreieren. Durch die Synergieeffekte bleiben die Kosten für das neue Fahrzeug überschaubar, was gerade in Zeiten, in denen der VW-Konzern den Gürtel aufgrund der immensen Investitionen für die Elektromobilität, enger schnallen muss, sehr wichtig ist.

Elektromobilität noch im Dornröschenschlaf

Der Nivus ist eine Konsequenz einer Strategie, die 2016 von Herbert Diess angestoßen wurde. Anstelle des bis dato praktizierten Zentralismus des Wolfsburger Hauptquartiers wird jetzt im VW-Weltreich Föderalismus praktiziert. Eine Tendenz, die bei den Regionalfürsten gut ankommt. "Um hier wirklich erfolgreich agieren zu können, muss man die lokale Klaviatur spielen können", sagt VW- Südamerika Statthalter Pablo di Si. Gerade in Lateinamerika ist eine genaue Kenntnis der Kundenwünsche, aber auch der politischen Verstrickungen und bilateralen Beziehungen vor allem im Hinblick auf den Protektionismus, den Länder, wie Argentinien installiert haben, unabdingbar für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung. Das ist auch die Krux, mit der die chinesischen Autobauer vermutlich zu kämpfen haben werden. "Sie sind kompetent, aber sie müssen sich an die Besonderheiten des brasilianischen Marktes gewönnen ", erklärt der Argentinier.

Herbert Diess (vorne) war vom brasilianischen VW Nivus begeistert (Foto: press-inform / VW)
Die Anchieta Fabrik ist die zentrale Fertigungsstätte für VW Brasilien (Foto: press-inform / VW)
Der VW Südamerika-Chef Pablo di Si kennt die Besonderheiten seiner Region (Foto: press-inform / VW)
(Foto: press-inform / VW)
(Foto: press-inform / VW)
(Foto: press-inform / VW)

Wie sehr die einzelnen Regionen unter dem Wolfsburger Diktat gelitten haben, zeigt die USA, wo VW viel zu spät auf den SUV-Zug aufgesprungen sind. Jetzt sind die Regionen bei den strategischen Entscheidungen freier und der Puls der Märkte ist so besser in Wolfsburg zu spüren. Das ist auch der Grund, warum die Elektromobilität in Südamerika nicht in dem Maße forciert wird, wie das in Europa der Fall. Bis 2023 will VW in dieser Region sechs Hybridmodelle in den Markt bringen. Pablo di Si geht davon aus, dass bis 2027 lediglich zwei Prozent des Fahrzeugbestands in seiner Region elektrisch sein wird. "Die Plug-in-Hybride werden in den nächsten drei, vier Jahren der Schlüssel sein", stellt Pablo di Si klar.


Der Nivus wird also nicht das Ende der Fahnenstange sein. Mittlerweile haben die Brasilianer den VW-Chefs ein Derivat des Crossover-Coupés vorgestellt. Dem Vernehmen nach, waren Herbert Diess & Co. erneut begeistert. Von Brasilien für die Welt heißt die neue Maxime. Über die Ausstattungsdetails des europäischen Nivus entscheiden übrigens die dortigen VW-Chefs. Gleiches Recht für alle.

Autor: Wolfgang Gomoll, Sao Paulo  Stand: 07.12.2019
Fotos: press-inform / VW  
(Foto: press-inform / VW)
(Foto: press-inform / VW)