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Ein Auto namens Walter
Autonomes Fahren, wirksame Assistenzsysteme - der Weg dorthin ist für die Autoindustrie ebenso unabwendbar wie der in die Elektromobilität. Und noch lang. Jedes Jahr treffen sich Forscher des VW-Konzerns mit Partnern und Universitäten zum Erfahrungsaustausch in Portugal.

Ein Auto namens Walter

Autonomes Fahren in Portimao: Walter on the Track (Foto: VW / Meiners)

Autonomes Fahren, wirksame Assistenzsysteme - der Weg dorthin ist für die Autoindustrie ebenso unabwendbar wie der in die Elektromobilität. Und noch lang. Jedes Jahr treffen sich Forscher des VW-Konzerns mit Partnern und Universitäten zum Erfahrungsaustausch in Portugal.

Walter hält mit 130 Sachen auf die enge Rechtskurve zu, steigt kurz vorher in die Eisen und zirkelt auf der Ideallinie um den Scheitelpunkt - haarscharf vorbei an den Curbs. Paul Hochrein sitzt entspannt hinter dem Lenkrad und macht - nichts. Walter bekommt das schon alleine hin, hier auf der Rennstrecke bei Portimao in Portugal. Walter ist ein Audi RS7, vollgepackt mit Elektronik und Hochleistungsrechnern hinten im Kofferraum. Bei seiner Fahrt um den 4,7 Kilometer langen und kräftig gewundenen Rundkurs folgt Walter allerdings nicht einer fest einprogrammierten und starren Streckenführung, sondern findet seinen Weg selbstständig und in Echtzeit. Per GPS-Signal bekommt der Audi ständig zentimetergenau seinen Standort auf der Strecke, die Software in den Computern im Heck errechnet alle hundertstel Sekunde den optimalen Weg, begrenzt durch die im Navigationssystem hinterlegten beiden Seitenlinien. Hochrein hält mit der linken Hand für alle Fälle einen im Türgriff eingebauten Totmann-Schalter. Lässt er los, schaltet sich Walter sofort in den manuellen Fahrmodus.

Sicher und kurvenreich

Walter? Walter. "Wir haben so viel Zeit in unseren Autos verbracht, dass wir ihnen Namen gegeben haben," sagt Paul Hochrein. Er ist Projektchef bei dem zweiwöchigen Treffen an der Algarve, das nun bereits zum fünften Mal stattfindet. Und "wir" ist ein Team von rund 20 Forschern, Technikern - "Nerds", wie Hochrein sagt - und Testfahrern, die mit knapp einem Dutzend Fahrzeuge aus dem VW-Konzern angereist sind. In den Boxen stehen Notebooks, an denen die aktuellen Messdaten ausgewertet werden und an Software getüftelt wird. "Wir schubsen Einsen und Nullen," nennt das Hochrein.


Ziel des Aufwandes ist es, sich gegenseitig interdisziplinär über den neuesten Stand ihrer Entwicklungen zum Thema Autonomes Fahren und Assistenzsysteme zu informieren. Denn mit dabei sind nicht nur Mitarbeiter der VW-Konzernforschung selbst, sondern auch Partner aus den Konzernmarken und Vertreter von Universitäten wie Stanford in Kalifornien oder der TU Darmstadt. "Wir nutzen das, um den Transferpartnern einen optimalen Rahmen zu liefern, die übergebenen Inhalte gemeinsam zu entwickeln und zu erproben," erklärt Hochrein. Das Autódromo Internacional do Algarve in Portimao haben die VW-Forscher nicht zuletzt wegen der Topografie der Strecke ausgewählt und weil sie dort ihre Systeme und Konzepte sicher und mit weiten Auslaufzonen erproben können.

Rangieren mit dem Smartphone

Mit Walter zum Beispiel probieren die Forscher verschiedene autonome Fahrprofile aus. Wie fühlt sich das für Passagiere an, wenn Walter straff geführt im Sportwagentempo um die Ecken pfeift? Wie, wenn er eher kommod und immer auf Straßenmitte unterwegs ist? Wie lassen sich die Abhängigkeiten von Autonomem Fahren und Reifen definieren? Wo liegt das Optimum zwischen Genauigkeit und benötigter Rechenleistung? Wie kann man Wege so einstellen, dass Walter möglichst spritsparend unterwegs ist? Den kürzesten Weg wählt? Gibt es Fahrmodi, bei denen Walter zwar noch gut über die Runden kommt, bei seinen Insassen aber das Frühstück hoch quirlt? Wie lässt sich ein marken- und fahrzeugspezifisches Fahrgefühl für autonom fahrende Automobile erreichen? Der Porschefahrer will anders chauffiert werden als der Fahrer eines Superb.

Der Kopfferraum von Walter ist vollgestopft mit Rechnern und Elektronik (Foto: VW / Meiners)
Ausgewertet werden die Daten in einer Box (Foto: VW / Meiners)
Auch programmiert wird gleich vor Ort (Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)

Vor der Nerd-Box wartet bereits ein Tiguan. An ihm wird "Steer by wire" ausprobiert. Dabei werden Lenkbefehle nicht mehr mechanisch an die Vorderräder geleitet, sondern rein elektrisch zu einem elektromechanischen Steuergerät, der den Lenkbefehl dann ausführt. In dem Tiguan wird ausprobiert, wie verschiedene Einstellungen vom Fahrer empfunden werden: Straff und mit kurzen Wegen für sportliches Fahren, amerikanisch ausladend für Straßenkreuzer-Feeling. Wie müssen Rückmeldungen an das Lenkrad beschaffen sein, damit sie dem Fahrer bestmögliche Informationen über die Fahrbahn liefern? Aber der Tiguan lässt sich keineswegs nur per Lenkrad lenken - beim Idealfall "Autonomes Fahren" gibt es das irgendwann ja nicht mehr. Gelegentlich rangiert werden muss das Fahrzeug trotzdem. Bei dem Versuchs-Tiguan funktioniert das zum Beispiel auch per Smartphone. Oder Gamepad. Mit etwas Übung lässt er sich sogar durch einen Slalomparcours dirigieren, ohne allzu viele Pylonen hinzumeucheln


Wieder auf der Rennstrecke testet Gamze Kabil in einem roten Golf GTI namens Dieter Übernahmestrategien für automatisches Fahren. Wenn sich das Lenkrad beim Autonomen Fahren nicht mit dreht - irritiert das den Fahrer? Wie funktioniert es am besten, wenn der Fahrer während der Fahrt das Lenken wieder selbst übernimmt und dabei Rad- und Lenkradwinkel nicht mehr übereinstimmt? Wie stark darf der Ruck des zuvor geraden Lenkrades sein, um wieder dem Einschlag der Vorderräder zu folgen? Wie müssen Lenkmoment und Lenkwinkel für den Übernahmefall angepasst werden?

(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)
(Foto: VW / Meiners)

Chris Gerdes von der Stanford University ist mit ein paar seiner Doktoranden nach Portimao angereist. Er sitzt in Norbert, ebenfalls einem roten Golf GTI. Zuhause in Kalifornien steht ein identischer Golf, mit dem Gerdes für VW Forschung betreibt. Seine Aufgabe ist es, Fahrdynamikregelungen für den Grenzbereich zu erproben und neuronale Netze zu entwickeln, mit denen sich entsprechende Modelle abbilden lassen. Die Frage über allem? Können Alogarithmen, die auf Künstlicher Intelligenz basieren, sicherer fahren als menschliche Fahrer?

Dass schon 2021 wirklich autonome Autos auf den Straßen fahren werden und nicht nur als Taxis auf eng definierten Strecken oder auf Autobahnen, daran glaubt hier in Portimao keiner. Zu komplex und kompliziert sei die Aufgabe, auch auf normalen Landstraßen und innerstädtisch unfallfrei unterwegs zu sein. Entsprechend viel gibt es zu noch erforschen. Und so wird man sich wohl auch kommenden Sommer in Portimao wiedersehen.

Autor: Jürgen Wolff, Portimao  Stand: 02.09.2019
Fotos: VW / Meiners