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Problemfall: Letzte Meile
Jeder spricht von Reichweitenangst und der Notwendigkeit, Schnellladesäulen entlang der Autobahnen zu erreichten. Das geht aber an der wirklichen Lade-Herausforderung vorbei. Denn am häufigsten wird zuhause oder in der Arbeit Strom getankt werden. Die Frage ist, ob das Stromnetz das auch mitmacht.

Problemfall: Letzte Meile

Oft sind öffentliche Ladesäulen zugeparkt (Foto: press-inform / VW)

Jeder spricht von Reichweitenangst und der Notwendigkeit, Schnellladesäulen entlang der Autobahnen zu erreichten. Das geht aber an der wirklichen Lade-Herausforderung vorbei. Denn am häufigsten wird zuhause oder in der Arbeit Strom getankt werden. Die Frage ist, ob das Stromnetz das auch mitmacht.

Die Zeit des Ladesäulen-Gutmenschentums ist gekommen. Am Vorabend der Elektro-Offensive verschiedener Hersteller wie VW, Audi oder Mercedes beeilen sich auch klassische Mineralölkonzerne sich als gute Dienstleister an der Elektromobilitätsfront, zu erweisen. Unlängst hat Shell verkündet, noch in diesem Jahr in Deutschland 50 Ladesäulen mit insgesamt 100 Ladestationen zu errichten, die mindestens eine Leistung von mindestens 150 Kilowatt haben. Damit rückt der Traum von der Langstreckenmobilität mit dem Nachfüllen der Akkus innerhalb einer Kaffeepause wieder ein Stück näher.

Strom ist genug da

Doch Schnelllade-Wettlauf, um gut dazustehen, der ein bisschen an das Wettschnipsen in der Schule erinnert, wird das echte Problem der Elektromobilität nicht lösen. Denn Erhebungen, die Mercedes durchgeführt hat, werden 80 bis 90 Prozent der Ladevorgänge zuhause oder am Arbeitsplatz durchgeführt. Wenn also eine ganze Reihe von Elektrofahrern ihre Autos gleichzeitig an die Wallbox der Garage klemmen, geht das Stromnetz eventuell in die Knie. Schließlich sind die Trafostationen, die in privaten Wohngegenden für den Saft sorgen, auf eine Stromabnahme rund vier Kilowatt pro Haushalt ausgelegt. Eine Wallbox mit elf Kilowatt Leistung überbietet diesen Wert fast um das Dreifache. "Das Problem der letzten Meile", nennt Jürgen Schenk, Direktor e-Drive Systemintegration bei Daimler dieses Problem und fügt hinzu. "Wenn alle gleichzeitig laden, haben wir ein Problem."


Diese Stromnetz-Kollabierungsangst führt dazu, dass in einigen Mehrfamilienhäusern die Eigentümerversammlung es Mietern verwehrt, eine weitere Wallbox zu installieren, wenn eine solche bereits vorhanden ist. Steht also die Elektromobilität vor einem drohenden privaten Lade-Engpass? Die Antwort lautet: "nein". Zunächst einmal wird kein Mangel an Strom eintreten. "Der Stromverbrauch in Deutschland wird sich durch die Elektrofahrzeuge nur geringfügig erhöhen. Selbst bei einer Million E-Autos, steigt der Stromverbrauch in Deutschland dadurch nur um rund ein halbes Prozent", stellt Dr. Selma Lossau, Leiterin Netzintegration Elektromobilität bei der Netze BW GmbH klar.

Prophyöaktisches Ladeverhalten

Zudem wird die Welle der stromhungrigen Elektromobile nicht wie ein Tsunami von jetzt auf gleich über die deutschen Städte hereinbrechen. Laut dem Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) waren am 1. Januar 2019 knapp 70.000 Plug-in-Hybride und gut 83.000 vollelektrische Kfz in Deutschland zugelassen, Tendenz steigend. Deswegen beschäftigen sich sowohl Autohersteller wie Mercedes, als auch die Energieversorger seit Längerem mit möglichen Szenarien, wenn die Nachfrage nach Elektromobilen deutlich zunimmt und kommen zu einer identischen Prognose. Nämlich, dass nur zu seltenen Anlässen so viele Autofahrer gleichzeitig laden und so gut, wie keine Gefahr besteht, dass das Stromnetz damit nicht fertig werden könnte. Aus diesem Grund gibt es eine Meldepflicht für Ladeinfrastruktur gegenüber dem zuständigen Netzbetreiber.

Wallboxen werden beim privaten Laden wichtig, sie ziehen vergleichsweise viel Strom (Foto: press-inform / VW)
Öffentliche Ladestationen werden wichtig bleiben (Foto: press-inform / eLoaded, Steinbacher Consult, Sortimo)
Innogy Schnelllader (Foto: press-inform / Ionity )
(Foto: Hersteller)
(Foto: press-inform / Mercedes / Dirk Weyhenmeyer)
(Foto: press-inform / Ionity)

Bei einem Pilotprojekt des Stromlieferanten Netze BW stellte sich heraus, dass die Autofahrer im Durchschnitt bis zu sieben Stunden Zeit hatten, ihre Elektromobile zu laden. Bei einem so langen Zeitraum kommt auch eine herkömmliche Schukosteckdose mit einer Ladeleistung von 2,3 kW mit dem Strombedarf klar. "Außerdem wird sich ein Ladeverhalten durchsetzen, dass dem bei Handys ähnelt. Die Menschen werden, das Auto dann laden, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Also prophylaktisch", sagt Stefan Abraham, Leiter Lade-Infrastruktur und Lade-Services bei Daimler.


Aber daran arbeiten die Netzbetreiber bereits. Nicht zuletzt deshalb haben sich mehrere Automobilhersteller zu Ionity zusammengeschlossen und wollen bis 2020 rund 400 Ladestationen in Betrieb nehmen. Aktuell sind es 95 Stück. Auch bei noch so großen Anstrengungen werden mit der Zunahme der BEV-Fahrzeuge auch private Lademöglichkeiten nötig sein und könnte das Problem der letzten Meile akut werden. Wenn sich die Elektroautos auf breiter Front durchgesetzt haben, hat Jürgen Schenk eine einfache Lösung für den privaten Ladeengpass parat. Die besteht in Energiespeichern, die bei großer Nachfrage den Strombedarf puffern.

(Foto: press-inform / Ionity)
(Foto: press-inform / Ionity)
(Foto: press-inform / Bosch)
(Foto: Nissan)
(Foto: press-inform)
(Foto: Tesla)

Autor: Wolfgang Gomoll, München  Stand: 17.05.2019
Fotos: press-inform / VW