Auf den amerikanischen Highways ist man damit heute wie vorgestern flott unterwegs; auch weil sich das 2,3-Liter-Triebwerk nicht durch eine US-typische Wandlerautomatik - auf Wunsch beim 110er verfügbar - selbst lähmt. Die serienmäßige Viergang-Handschaltung ließ sich optional ab Mitte der 60er Jahre auch mit einem Schaltgestänge am Mitteltunnel bekommen. Lässig schwimmt der Schwabe damit auch heute noch im kalifornischen Alltagverkehr des Großraums Los Angeles mit. Dann und wann reckt ein Autofan auf vier oder nur zwei Rädern bei der Vorbeifahrt den Daumen hoch, denn der dunkelgrüne 230er ist ein echter Beau. Bei Kurvenfahrt verlangt es nach einem gewissen Vorlauf und dem bekannten Anpeilvermögen des Piloten, denn die Lenkung ist trotz technischem Bestzustands des Fahrzeugs alles andere als präzise und nur nicht nur bei Regen lässt die Spurtreue der Reifen alle nur erdenklichen Wünsche offen. Der scheppernde Klang des Mittelwellenempfängers mit seinem mexikanischen Klängen wird ab 60 Meilen pro Stunde von deutlichen Windgeräuschen übertönt. So recht stören tut dies keinen der Insassen, denn hat man in den schwingenden Federsesseln mit hellem MB-Tex erst einmal Platz genommen, ist man Umwelt und aktuellem Zeitgeschehen ohnehin weit entrückt.
Günstiger Klassiker
Man reist ohne es besonders zu bemerken entspannt Richtung kalifonischer Wüste, wo die Temperaturen wärmer und der Verkehr zusehends weniger werden. In Europa seinerzeit nahezu undenkbar, gab es die Heckflosse in den USA einst sogar mit einer optionalen Klimaanlage, die durch spezielle Lüftungsdüsen an der Unterseite des Armaturenbretts kühle Luft in den Innenraum presste. Angesichts dessen, dass es auch aufgrund der großen unkolorierten Glasflächen bereits bei mäßiger Sonneneinstrahlung im Innern angenehm sehr warm wird, eine überlegenswerte Extraausstattung, die sich heutzutage sogar nachrüsten lässt. So müssen es für eine Brise die manuellen Seitenfenster sein, die sich ebenfalls im Gegensatz zu den US-Vorbildern von Chrysler, General Motors oder Ford noch manuell herunterkurbeln lassen. Wer die kleinen Dreiecksfenster aufstellt, bekommt auch bei höherem Tempi einen angenehmen Windzug ins üppig dimensionierte Innere der Limousine. Ansonsten ist die Ausstattung des dunkelgrünen Vorzeigemodells betont karg. Außer dem Mittelwellenradio nebst Antenne und des mittig auf der spartanischen Instrumententafel verbauten Lautsprechers glänzt der 230er aus dem Jahre 1966 kaum durch erwähnenswerte Sonderausstattungen. Auch die Instrumentierung ist überschaubar. So gibt es neben dem Balkentachometer nur Anzeigen für Temperatur, Tank und Öldruck - mehr brauchte früher niemand für seine große Fahrt. Und die Aufgabe des Drehzahlmessers übernimmt das Gehör des Fahrers. Maximal macht der Reihensechszylinder immerhin 5.400 Touren.
Auf dem Klassikmarkt sind gute Modelle der Baureihe W 110 rar gesät. Ein Fahrzeug mit nachvollziehbarer Historie und einem ordentlichen technischen wie optischen Zustand kostet rund 15.000 Euro. Die Reihensechszylinder mit zunächst 105 und später 120 PS sind deutlich beliebter und liegen ebenfalls noch unter der 20.000-Euro-Marke. Die Modelle der großen Heckflosse W 111 sind zumeist ein paar tausender teurer, kaum besser ausgestattet, aber beliebter und häufiger anzutreffen. Wer daher einen coolen Klassiker mit jeder Menge Langstreckenkomfort und entsprechender Alltagstauglichkeit sucht, ist mit der kleinen Heckflosse bestens bedient; am besten als 230er.
Fotos: press-inform
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- Veröffentlicht: 27. Dezember 2018