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Chicago-Connection
Auch wenn der Dieselskandal deutsche Autohersteller aktuell unter Druck setzt. Audi, Volkswagen, BMW, Porsche oder Mercedes gelten als die besten Automarken weltweit, wenn es um Image und Innovationen geht. Doch ihre Techniklabors liegen zumeist in den USA.

Chicago-Connection

BMW Tech Office Chicago - hier geht um die Vernetzung von Mensch, Auto und mobilen Diensten (Foto: BMW)

Auch wenn der Dieselskandal deutsche Autohersteller aktuell unter Druck setzt. Audi, Volkswagen, BMW, Porsche oder Mercedes gelten als die besten Automarken weltweit, wenn es um Image und Innovationen geht. Doch ihre Techniklabors liegen zumeist in den USA.

Seit Jahrzehnten betreiben die meisten deutschen Autohersteller Technikaußenstellen in aller Welt. Es gilt, Fahrzeuge und deren Technologien an lokale Marktbedürfnisse anzupassen. Auch wenn Regionen wie Südamerika, China oder Indien in den vergangenen Jahren dabei wichtiger denn je werden: den USA und insbesondere Kalifornien kommt als Technologiestandort eine unverändert zentrale Bedeutung zu. Hier tummeln sich nicht nur die deutschen Hersteller, sondern auch die meisten asiatischen Firmen sowie Ideenschmieden, die bevorzugt heimische Marken wie GM, Ford oder FCA (u.a. Dodge, Chrysler, Fiat, Alfa, etc.) bedienen. Zudem werkeln im Süden der San Francisco Bay rund um San Jose große IT-Firmen wie Google, Microsoft, Apple, NVidia, Facebook, Ebay oder Twitter und arbeiten für die größten Konzerne der Welt - so auch die Autoindustrie. BMW erforscht die immer enger werdende Vernetzung zwischen Auto und Kunden dabei nicht nur in seinem Tech-Office in Mountainview in der Nähe von Palo Alto, sondern mehr denn je auch in Downtown Chicago.

Chicago ergänzt Silicon Valley

Die Lokalität mag überraschen - der Werbeslogan ebenfalls. "The next 100 years" ging im vergangenen Jahr anlässlich des 100. Geburtstags von BMW um die Welt. An der Adresse 100 North Riverside Plaza, West Side Chicago befindet sich die Firmenzentrale des Boeing Konzerns, die die Besucher mit dem gleichlautenden Slogan im Erdgeschossfoyer empfängt. In einer Büroetage hat sich BMW eingemietet und macht seine Technik fit für die Kunden von morgen. Aktuell arbeiten in der Außenstelle Chicago 150 Techniker aus 20 Nationen daran, dass Autofahren und Leben noch ein bisschen besser zusammenpassen als bisher. Kein anderer Hersteller hat seine Autos derzeit so weit vernetzt wie BMW. Über 8,5 Millionen Fahrzeuge der Marken BMW, Mini und Rolls-Royce sind via BMW Conntected miteinander und den verschiedenen Dienstleistungen vernetzt. Derzeit nutzen mehr als eine Millionen Kunden der Münchner Apps und Dienste in ihrem Auto.


In dem Entwicklungszentrum von Chicago werden Systeme entwickelt, Daten zusammengetragen sowie zwischen Mobilgerät und Auto intelligent miteinander verquickt. Gleich am frühen Morgen ermahnt das Smartphone beim Frühstück zu einer früheren Abfahrt, um den Termin in der City zu erreichen. Der Verkehr auf dem Weg ins Büro staut sich durch einen Unfall mehr als gewöhnlich und diese Verkehrsinformationen gelangen via Smartphone zum Nutzer. Die anderen Teilnehmer der Besprechung werden automatisch informiert, wo man sich befindet und wann man eintrifft - zumindest, wenn man dies will. Solche Ideen werden hier mit Blick auf Downtown Chicago hier Tag für Tag entwickelt. Überall hängen große Tafeln, auf denen in schwarz-weiß oder kunterbunten Farben Alltagsabläufe, Ideen, fiktive Personen und Visionen aufgemalt sind. Beruf, Familie, Freizeit, Freunden oder Urlaub in das Geschehen von Smartphone und Auto einzugliedern, daran wird im BMW Tech-Office jeden Tag gearbeitet.

Sonderausstattungen per App

Möglich macht die intelligente Vernetzung von Alltag, Mobiltelefon und Auto eine Cloud aus dem Hause Microsoft. Das System ist bei entsprechender Mobilnetzvetzversorgung in der Lage, Daten und Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zu verarbeiten und dem Nutzer zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus bietet diese Open Mobility Cloud weitreichende Fähigkeiten des maschinellen Lernens und der Datenanalyse: mit jedem Tag lernt das System den Nutzer am BMW-Steuer besser kennen und kann zielsicher Voraussagen treffen, sodass die Dienste maximal personalisiert werden können.

BMW Tech Office Chicago - Auto und Smartphone arbeiten zunehmend im Gleichklang (Foto: BMW)
BMW Tech Office Chicago - immer vernetzt (Foto: BMW)
BMW Tech Office Chicago (Foto: BMW)
(Foto: BMW)
(Foto: BMW)
(Foto: BMW)

Doch bei mobilen Diensten im Auto allein wird es in der Zukunft nicht bleiben. "Wir gehen mittelfristig zum Beispiel weg von der Sonderausstattungs-Logik", sagt Dieter May, Leiter des dortigen BMW-Zukunftsbereichs, "wir werden bald ein personalisiertes Fahrzeug bekommen, das sich der Kunde ganz nach seinen Wünschen zusammenstellen kann. Wer will, kann sich dann zum Beispiel für einen bestimmten Zeitraum 50 PS oder spezielle Extras hinzukaufen. So kann man das Auto frisch halten; besonders wichtig, wenn das autonome Fahren kommt."


Bei den Extras von morgen orientieren sich die BMW-Techniker an Programmen wie Apple iTunes oder Amazon Prime. Möglich wären dann auch bestimmte Navigationsfunktionen nachzubuchen, wenn diese zunächst nicht geordert wurden oder man der Zweitbesitzer ist, der darauf Wert legt. Steht der kalte Winter vor der Tür, gibt es über einen App-Shop beispielsweise für ein paar Monate eine wärmende Sitzheizung. "Erste Funktionen werden bereits im Jahre 2018 kommen", sagt Dieter May, "es wird einige Zeit dauern, bis sich dies durchgesetzt hat. In sechs bis sieben Jahren könnten dies jedoch dann 50 Prozent der üblichen Sonderausstattungen sein." Die Funktionen sind ab Werk bereits im Fahrzeug verbaut und werden dann über einen App-Store per Kundenwunsch aktiviert.

(Foto: BMW)
(Foto: BMW)
(Foto: BMW)
(Foto: BMW)
(Foto: BMW)
(Foto: BMW)

Dreh- und Angelpunkt zwischen Mensch und Auto ist das Smartphone. Es kennt mit seinem digitalen Kundenprofil die meisten Vorlieben und Abneigungen seines Herrn. So braucht der auch keinen Fahrzeugschlüssel mehr, wenn er an sein Auto tritt. Das Smartphone wird erkannt, die Tür lässt sich öffnen und alle Funktionen sind gespeichert. Das funktioniert dann auch bei einem Mietwagen oder dem BMW eines Freundes. Die Daten werden über Bluetooth und NFC (Near Field Communication) übertragen. Immer mehr nähert sich dabei der eigene Haushalt dem Auto an. Sprachdienste wie Alexa, Cortana oder Siri sorgen ebenfalls dafür, dass sich der Kunde zu Hause mit seiner Auto- und Außenwelt vernetzen kann. "Die Primärbedienung im Fahrzeug wird dabei die Sprache sein. Die Visualisierung ist nur zweitrangig", erläutert Dieter May und erwähnt wie nebenbei, dass die BMW-Kunden eine rund 60prozentige Überdeckung mit denen von Amazon Prime haben, "einen eigenen Music-Store müssen wir nicht mehr erfinden. Das haben andere bereits getan, mit denen wir uns vernetzen. So werden zukünftig immer mehr bekannte Programme im Auto nutzbar sein."

 

 

Autor: Stefan Grundhoff, Chicago  Stand: 10.08.2017
Fotos: BMW